Thonet 100 Jahre Bauhaus Berlin

steidten+ einrichten mit architekturintelligenz

Thonet_Logo_Bauhaus_100

Form und Ästhetik von Stahlrohrmöbeln erscheinen uns heute selbstverständlich. Sie sind bekannte Meilensteine der Designgeschichte. Seit Langem beschäftigen sich Kunsthistoriker wie Materialforscher mit den Details der Entstehung dieser gestalterischen Innovation. Wann entstanden welche Entwürfe? Wie beeinflussten sich die ersten Gestalter der Stahlrohrmöbel gegenseitig? Nach Ende des Ersten Weltkriegs erfasst in Deutschland eine allgemeine Krise Gesellschaft und Politik, die auch ästhetische Alltagsformen in ihren Grundfesten erschüttert und Veränderungen provoziert. Im ersten Nachkriegsjahr 1919 entsteht nicht nur das Bauhaus in Weimar, nebenan im Theater berät die Nationalversammlung über die Weimarer Verfassung und der Versailler Friedensvertrag spaltet die Gesellschaft. Zunächst vom Expressionismus und der holländischen De Stijl-Bewegung beeinflusst, suchen einige Gestalter, Architekten und Handwerker ab den 1920er-Jahren nach neuen Techniken und Formen. Sie experimentieren im Möbelbau erstmals mit dem Werkstoff Stahlrohr. Zur Bekanntheit und zum nachhaltigen Erfolg der Stahlrohrmöbel von Thonet trägt das Zusammentreffen mehrerer Faktoren bei. Da ist die gestalterische Strömung des Neuen Bauens, die sich mit vielgestaltigen Tendenzen entwickelt. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die ästhetisch-kulturelle Bildungsinstitution Bauhaus, die aufgrund politischer Veränderungen mehrfach den Ort und aus eigener Entwicklung heraus die konzeptionelle Strategie wechselt. Das Bauhaus ist ein maßgeblicher Bezugspunkt, nicht aber der Entstehungsort der neuen Möbel. Thonet, schon damals berühmt für seine vielseitige Kollektion an Bugholz-Möbeln, bietet sich als expandierendes Unternehmen mit Weltgeltung als natürlicher Partner für jene Gestalter an, die in Architektur und Einrichtung nach Typisierung strebten. Denn Thonet war Pionier der Arbeitsteilung und des Baukausten-Prinzips in der Möbelfertigung. Neben Michael Thonet hatten bereits weitere Wegbereiter der Moderne wie Josef Hoffmann, Adolf Loos und Bruno Paul Möbel aus Bugholz entworfen; manche waren zerlegbar und konnten in Einzelteilen vorgefertigt werden.

thonet 100 jahre bauhaus bei steidten+ berlin

Unter den Stahlrohrmöbeln ist der Freischwinger S 32 besonders vielseitig. Er ist in unterschiedlichen gestalterischen Welten zu Hause. Zur kompromisslos modernen Einrichtung passt er genauso wie zum vielseitigen Mix, der unterschiedlichen Epochen und Stilen nebeneinander Raum gibt. Der Freischwinger S 32 und die Variante S 64 mit Armlehnen sind die bekanntesten Stahlrohr-Klassiker. Zu ihrer Popularität trägt die reizvolle Verbindung des Neuen mit dem Bewährten bei: Thonets Tradition in der Herstellung von Bugholzmöbeln mit charakteristischem Wiener Geflecht, in Kontrast zum revolutionären Einsatz von Stahlrohr. Sitz und Rückenlehne aus gebogenem Massivholz mit Rohrgeflecht verkörpern Tradition, das Gestell Gegenwart und Zukunft. Ihre Vielseitigkeit macht sie zu den bis heute meist verkauften Freischwingern. Marcel Breuer entwarf den S 32 und den S 64 in seiner Berliner Zeit 1928. Thonet produziert die beiden Modelle seit 1930. Durch ihre ästhetische Reduktion und Klarheit kombiniert mit dem luftigen Geflecht passen die Klassiker in unterschiedlichste Umgebungen wie Konferenzräume, Wartezonen, Restaurants und in die Wohnung.

thonet 100 jahre bauhaus berlin
thonet 100 jahre bauhaus berlin

Kubische Form, klare Gestalt, feine Proportionen, schwingende Bewegung: Mit den evolutionär perfektionierten Freischwingern S 33 und S 34, die zu den ersten ihrer Art gehören, verbinden sich heute Zeitgeist und Traditionsbewusstsein. „Warum vier Beine, wenn zwei ausreichen“, schrieb der Künstler Kurt Schwitters 1927, als er die ersten Freischwinger der Möbelgeschichte erblickte. Die beiden Stühle S 33 und S 34 sorgten bei der 1927 eröffneten Werkbundausstellung auf dem Weißenhof in Stuttgart für viel Aufsehen. Bereits ab 1925 hatte Mart Stam mit dünnen Gasleitungsrohren experimentiert, deren Winkel er zunächst mit Flanschen verband, wie sie Klempner verwenden. Als Weiterentwicklung schuf Stam das Prinzip frei kragender Stühle, die nicht mehr auf vier Beinen ruhten – ein Konstruktionsprinzip, das in seiner formalen Zurückhaltung zu einem wichtigen Baustein in der Geschichte des modernen Möbeldesigns wurde. Seine Freischwinger S 33 und S 34 waren mehr als nur sachlich gestaltete Einrichtungsgegenstände, sie gehörten zum revolutionären Gesamtkonzept einer neuen Architektur- und Lebensauffassung.

Mit Leichtigkeit, Beweglichkeit und Komfort stellt der Sessel unter den Freischwingern der Bauhaus-Epoche alles Schwere und Träge in den Schatten. 1930 wirkte das moderne Lebensgefühl, das der S 35 vermittelt, visionär, heute ist es Bestandteil unserer mobilen und individuellen Lebensweise. Mit dem S 35 gelang es Marcel Breuer, alle Funktionen eines frei schwingenden Stahlrohrsessels in einer einzigen durchgehenden Linie zu konstruieren, die auch die Armlehnen einbezieht. Breuer erreichte mit seinem Entwurf einen doppelten Freischwinger-Effekt. Sitz und Armlehnen federn unabhängig voneinander. Die Schwingbewegung des nach hinten auskragenden Sitz- und Rückengestells wird mit den federnden Armlehnen ausbalanciert. Für zusätzlichen Komfort gibt es einen passenden Fußhocker – ebenfalls freischwingend konstruiert. Der komfortable Klubsessel S 35 wurde erstmals 1930 während der heute berühmten Präsentation des Deutschen Werkbundes beim „Salon des Artistes Décorateurs“ in Paris gezeigt. Dort war er Teil der Einrichtung eines prototypischen Hochhaus-Apartments, das Breuer gemeinsam mit Walter Gropius und Herbert Bayer realisierte.

thonet 100 jahre bauhaus berlin
thonet 100 jahre bauhaus berlin

Einfachheit, die überall ihre Wirkung entfaltet: Mart Stam nahm dem seit Jahrhunderten nach ähnlichen Prinzipien geformten Möbel die Hinterbeine. Durch evolutionäre Verfeinerung entstand daraus ein Gegenstand, der an jedem Ort eine gute Figur macht, wo zugleich Understatement und Qualität gefragt sind. Bei seinen Möbelentwürfen kam es Mart Stam auf hohen Nutzen und auf Sparsamkeit an, in ästhetischer wie materieller Hinsicht. Daraus resultieren die geradlinige Form, eine klare Konstruktion und der verbesserte Sitzkomfort. Größtmögliche Reduktion erreichte Stam beim Freischwinger S 43, indem er das Stahlrohr-Gestell mit Formholzteilen für Sitz und Rücken kombinierte. Seine pure, zurückhaltende Form macht diesen Freischwinger zu einem exemplarischen Entwurf im Geiste der Moderne. Das künstlerische Urheberrecht für den streng kubischen hinterbeinlosen Stuhl liegt heute bei Thonet. Der Lesesaal Naturwissenschaften der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig wurde bereits 1933 mit dem Freischwinger S 43 ausgestattet. Mehr als 70 Jahre später lieferte Thonet S 43 als Neulieferung zur Ergänzung nach. Derart langlebig und nachhaltig sind nur Stahlrohrmöbel hoher Qualität, wie sie für Thonet typisch sind. Mart Stam setzte bei all seinen Möbelentwürfen auf Geradlinigkeit in der Form, auf ästhetische Sparsamkeit der Konstruktion und auf den Nutzen verbesserten Sitzkomforts. Beim S 43 kombinierte er das Stahlrohr-Gestell mit Formholzschalen für Sitz und Rücken und schaffte damit eine absolute Reduktion. Durch den bequemen Schwingeffekt des Gestells kann man auf eine Polsterung verzichten. Seine klare, zurückhaltende Form macht diesen Freischwinger zu einem exemplarischen Entwurf im Geiste der Moderne. Das künstlerische Urheberrecht für diesen streng kubischen hinterbeinlosen Stuhl liegt heute bei Thonet.

Aus Technologie wird Möbel, aus einer markanten Erfindung wird ein eleganter Einrichtungsgegenstand. Ludwig Mies van der Rohe verlieh dem Freischwinger als erster ästhetische Leichtigkeit und bezog ihn mit schwungvollen Linien auf den Raum. Im Vorfeld der Weißenhof-Ausstellung, die er organisierte, lernte Mies van der Rohe durch Mart Stam das Prinzip des Kragstuhls kennen. So neu dieser Ansatz war, so wenig begeisterte Mies van der Rohe die erste Umsetzung durch Stam. Umgehend beantwortete er die technologische Innovation mit einer eigenen ästhetischen Lösung, die er 1927 vorstellen konnte. Der S 533 gehört zu den ersten Freischwingern, zugleich definiert er mit seiner elegant gebogenen großen Kreisform des Stahlrohrs den Raum, der ihn umgibt. Gezielte Beschränkung beim Einsatz der Materialien, Eleganz in der Linienführung und Transparenz in der Wirkung sind die charakteristischen Eigenschaften des S 533. Seinen besonderen Komfort verdankt er der Fähigkeit zum dauerelastischen Federn. Unterstreichen die meisten Entwürfe aus den 1920er-Jahren funktionale Aspekte durch Betonung von Schlichtheit, spürt man bei diesem Sessel die Handschrift des Architekten: Mies van der Rohes bewusst luxuriöser Entwurf kombiniert Funktionalität, Komfort und zeitlose Ästhetik. Der S 533 steht für eine veränderte Wahrnehmung von Qualität.

thonet 100 jahre bauhaus berlin
thonet 100 jahre bauhaus berlin

Die von Michael Thonet perfektionierte Bugholztechnik war eine der Inspirationsquellen für Marcel Breuers Experimente mit gebogenem Stahlrohr. Aus dieser Idee entstand das vierteilige Satztischset B 9. Die kleinen Tische finden auf vielseitige Art ihren Einsatz – als Beistelltisch in Sitzgruppen, als praktische Ablage oder als perfekter Ort für eine Vase mit frischen Blumen. Nach Gebrauch kann man sie platzsparend untereinander schieben. Die Besonderheit dieses Programms liegt in seiner funktionalen Schlichtheit – die Satztische bestehen lediglich aus verchromtem, gebogenem Stahlrohr und rechteckigen Platten. Während seiner Zeit am Bauhaus experimentierte Marcel Breuer mit Stahl und Stahlrohr, einem damals für Möbel neuen, vielversprechenden Werkstoff. Der enge Austausch mit dem Flugzeugbauer Junkers in Dessau beschleunigte den Entwicklungsprozess. Zu seinen ersten Entwürfen gehörten die Satztische B 9 sowie verschiedene Regale und Beistellmöbel. Bereits der Thonet Steckkartenkatalog von 1930/31 enthielt das komplette Sortiment. Breuer entwarf den B 9 ursprünglich für die Kantine des Dessauer Bauhaus-Gebäudes. Auch in den Studentenapartments und den Meisterhäusern von Walter Gropius wurde das vielseitige Tischchen eingesetzt.